Sicherheitsdebatte Fußball-EM kommt mit Grenzkontrollen und Urlaubssperren

Von den -Korrespondenten
Während der Fußball-Europameisterschaft werden viele Polizeibeamte zur Sicherung der Stadien eingesetzt (Archivbild). Foto: Arne Dedert/dpa

Die Sicherheitsbehörden betreiben einigen Aufwand für die Fußball-EM. Seit dem WM-«Sommermärchen» 2006 sind neue Herausforderungen hinzugekommen, meint ein Gewerkschafter.

 
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Berlin - Millionen Gäste aus aller Welt, volle Stadien, Gedränge beim Public Viewing: Die Fußball-Europameisterschaft im Juni erwartet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bis zu 12 Millionen Besucherinnen und Besucher und 2,7 Millionen Fans in den Stadien. Der islamistische Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau wirft die Frage auf: Wie steht es eigentlich um die Sicherheit einer solchen Riesenveranstaltung?

Knotenpunkt NRW

"Sicherheit hat die höchste Priorität bei uns", versicherte EM-Turnierdirektor Philipp Lahm im ARD-"Morgenmagazin". Mit den Behörden stehe man im Austausch. Nordrhein-Westfalen mit seinen vier Austragungsorten Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Köln wird mit einem internationalen Polizeizentrum in Neuss zum Knotenpunkt.

Das sogenannte International Police Coordination Center (IPCC) soll für die Auswertung sicherheitsrelevanter Informationen rund um das Turnier sorgen sowie für den Austausch von Informationen zwischen Bund und Ländern sowie mit Kräften aus dem europäischen Ausland. Dabei geht es laut Bundesinnenministerium um allgemeine, organisierte oder politisch motivierte Kriminalität, Hooliganismus oder die Begleitung von Demonstrationen im Umfeld der Spielstätten.

Polizisten in NRW hätten während der EM Urlaubssperre, sagte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) im Deutschlandfunk. Das gilt sowohl in Berlin als auch für die Bundespolizei - wie der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, der "Rheinischen Post" sagte.

Faeser kündigt Grenzkontrollen an

Wie bei solchen Großereignissen üblich sollen auch zur Fußball-Europameisterschaft im Juni mit ihren zehn Austragungsorten die deutschen Grenzen schärfer kontrolliert werden. "Wir werden während des Turniers an allen deutschen Grenzen vorübergehende Grenzkontrollen vornehmen, um mögliche Gewalttäter an der Einreise hindern zu können", sagte Faeser der "Rheinischen Post". Das wird aber keine heruntergeklappten Schlagbäume bedeuten, sondern auf stichprobenartige Kontrollen herauslaufen. Deutschland hatte unter anderem zur Fußballweltmeisterschaft 2006 schon zeitweilige Grenzkontrollen eingeführt.

"Bei nahezu allen bedeutenden Großveranstaltungen mit internationaler Beteiligung (G20, G7, Nato-Gipfel, WM, EM) greifen die Sicherheitskräfte auf diese Möglichkeit zurück", sagte der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft innerhalb der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Heiko Teggatz, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, sagte: "Grenzkontrollen sind dabei ein wichtiges Instrument, um extremistische Gewalttäter und Sportgewalttäter nicht ins Land reisen zu lassen und sie vom Turnier fernzuhalten."

Scholz verteidigt Faesers Pläne

"Das ist ein ganz bewährtes Instrumentarium, das wir in Europa haben und das wir hier einsetzen und das eben der Sicherheit dient. Ich glaube, das versteht auch jeder", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz mit Blick auf die geplanten Grenzkontrollen. "Wir werden alles tun, was für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger erforderlich ist."

Schon vor dem Terroranschlag in Moskau habe die Einschätzung der Gefahrenlage "höchste Priorität" gehabt und es seien viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, betonte Scholz. Die jetzt angekündigten Grenzkontrollen seien nichts Ungewöhnliches. Es habe sie in der Vergangenheit auch schon bei anderen Großereignissen gegeben.

Von Fake-News bis Drohnen: Neue Herausforderungen

Seit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sei der Fußball nicht friedlicher geworden, hinzu komme die Bedrohung durch extremistische Gewalttäter und Terroristen, sagte Mertens der dpa. Auch die Kommunikation über Messengerdienste oder soziale Medien dürfte die Polizei auf Trab halten. "Größere Mengen von Fans können sich blitzschnell an bestimmten Orten verabreden. Als Polizei da hinterherzukommen, wird nicht einfach und womöglich nur über einen großen Kräfteansatz zu bewerkstelligen sein", meint Mertens.

"Zudem wird es schwierig werden, die Deutungshoheit über sicherheitsrelevante Vorkommnisse zu behalten." Es sei davon auszugehen, dass in sozialen Medien gegen die Polizei gehetzt werde. "Weiterhin müssen die Polizeien nicht auszuschließende Drohnen- und Cyberangriffe sowie gesteuerte Fake-News im Blick behalten."

Bundesinnenministerium: Sicherheitslage unverändert

Der Moskauer Anschlag hat keine Auswirkungen auf die Einschätzung zur Lage in Deutschland, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums schon am Montag betonte - die Bedrohung durch Islamisten galt ohnehin schon als hoch. "Die Sicherheitsbehörden sind sehr wachsam, weil die islamistische Bedrohung ja keine neue ist." Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober stehe die islamistische Szene insgesamt noch stärker im Fokus der Sicherheitsbehörden.

Auch Ländervertreter wissen nach eigener Auskunft nichts von konkreten Bedrohungen. Eine Sprecherin der Berliner Senatsinnenverwaltung sagte der dpa: "Derzeit liegen den Sicherheitsbehörden keine Hinweise oder Erkenntnisse vor, die auf eine konkrete Gefährdung der Veranstaltung schließen lassen." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und sein Kollege aus Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), äußerten sich ähnlich - wobei Strobl zu bedenken gab, dass ein Anschlag wie in Russland auch hierzulande zu Nachahmungstaten verleiten könne.

Wie die Polizei aufgestellt ist

Die Vorbereitung auf die EM laufe seit Monaten, sagte Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) im ARD-"Morgenmagazin". Leipzig ist einer der Austragungsorte. "Wir hätten jetzt keinen Anschlag in Moskau gebraucht, um jetzt noch alarmierter oder so zu sein", versicherte er. Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" 2015 in Paris habe die deutsche Polizei, auch die sächsische, sehr viel an Taktik und Ausrüstung umgestellt, um sich für solche Einsätze vorzubereiten. "Und das wirkt natürlich auch jetzt." In Bayern trainierten vor kurzem rund 2000 Teilnehmer bei einer länderübergreifenden Anti-Terrorübung für den Ernstfall, das fiktive Szenario war ein Anschlag auf die EM.

Neben den Einsatzkonzepten, die fertig seien, mache man aktuell viel Training, befasse sich mit Ausrüstungsfragen und hinterfrage immer wieder die Sicherheitskonzeption, sagte Schuster. "Und dann geht es im Sommer, wenn es losgeht, natürlich um massive Präsenz, gerade da, wo viele Menschenmengen sind, also Public Viewing."

Gewerkschafter Mertens verweist auf die Erfahrung seiner Kolleginnen und Kollegen im normalen Ligabetrieb. "Zudem gilt für die Spiele ein erweitertes Sicherheitskonzept mit vorgelagerten Kontrollen und personalisierten Tickets." Seine Einschätzung: "Die sichersten Orte der EM dürften die Stadien selbst sein."

Forderungen nach mehr Befugnissen für die Polizei

Schuster bekräftigte Unionsforderungen nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden. "Jetzt sieht man bei Terroranschlägen, wie oft wir auf Hinweise aus dem Ausland angewiesen sind. Das müssten wir dringend korrigieren", sagte er. Der Landesminister appellierte an die Ampel-Koalition im Bund, in Fragen der Onlinedurchsuchung und Vorratsdatenspeicherung etwas zu tun.

Auch Strobl betonte, man brauche die Vorratsdatenspeicherung dringend zur Abwehr schwerster Straftaten und zur Abwehr terroristischer Anschläge. Gewerkschaftsvertreter Teggatz mahnte neben mehr Geld für die Polizei mehr technische Möglichkeiten an, darunter die Onlinedurchsuchung.

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